top of page

„You’re all vegetarians?" Wieso leben so viele Lesben vegetarisch oder vegan? Eine Analyse

Sind alle Lesben Vegetarierinnen?

Diese Frage taucht im Rahmen meines Aktivismus für queere Menschen und der Tierbefreiung immer wieder auf.

Auch in der Popkultur ist die Verbindung zwischen Lesben* und dem Vegetarismus schon seit den 80er-Jahren immer wieder ein Thema.

In lesbischen Filmklassikern wie: „But I‘m a Cheerleader/Weil ich ein Mädchen bin“ oder „Kyss Mig/Küss mich“ sind zumindest eine der zwei Hauptfiguren Vegetarierinnen und im Film „Pride“ sogar stolze Veganerinnen.

(Bei einer großen Preisverleihung scherzte der Drehbuchautor von „Pride“, Stephen Beresfold: „Es hat 20 Jahre gedauert, um jemanden davon zu überzeugen, dass ein Film über vegane lesbische Aktivistinnen ein todsicherer Hit ist.“)



Film "Pride" aus dem Jahr 2014


Dabei ist die Verbindung zwischen diesen beiden sozialen Bewegungen sogar noch viele Jahrzehnte älter und es gab schon in der ersten europäischen Frauenbewegung (ab 1865) die ersten weiblichen Personen, die nach dem heutigen Begriff lesbisch lebten und sich für das Leid der Tiere engagierten, oder zumindest vegetarisch lebten.

Da das Wort „vegan“ erst 1944 erfunden wurde, lässt sich leider nicht eindeutig klären, inwieweit manche tatsächlich schon vegan oder eben vegetarisch lebten.

Eine persönliche Anmerkung:

Ich hatte ein unspektakuläres Coming-out Anfang der 90er-Jahre in der bayerisch-schwäbischen Provinz.

Als ich mich nach und nach bei meinen Schulfreundinnen outen wollte, winkten die nur ab und meinten, dass sie das schon wüssten, und sie hätten es schockierender gefunden, wenn ich plötzlich mit einem Freund um die Ecke gekommen wäre.

Den Begriff „Tomboy“ kannte da noch niemand, aber sie wussten trotzdem alle, dass ich eine war.

Als ich dann kurze Zeit später Vegetarierin wurde, überraschte auch das in meinem Umfeld niemanden, als sei dies der nächste logische Schritt gewesen.

Ich hatte schon damals innerhalb meiner lesbischen Bubble einige vegetarische Freundinnen. Es sollte noch Jahre dauern, bis ich auf die erste heterosexuelle Vegetarierin traf. Auch die erste Veganerin, die ich später kennenlernte, war lesbisch.

Mit Grauen erinnere ich mich noch an meine abschätzige Reaktion ihr gegenüber.

Als ich im Jahr 2012 dann selbst endgültig den späten Schritt zum Veganismus abschloss, lag dies auch eher an meinen Ängsten und Vorurteilen als an meinem sozialen Umfeld.


Zurück zur Frage, wieso lesbisch sein oft mit Vegetarismus verbunden ist.

Es ließe sich auch die Frage stellen, wieso so viele Lesben Feministinnen sind, oder in anderen Befreiungskämpfen immer an vorderster Front standen und stehen.

Dies hat meiner Meinung nach verschiedene Gründe.


Die Engländerin Anne Lister (* 1791 ; † 1840) gilt heute als „erste moderne Lesbe“.

Dank einer großen Erbschaft konnte sie ein recht emanzipiertes Leben leben, reiste sehr viel und bestieg z. B. als erster Mensch den höchsten Berg Vignemale in den französischen Pyrenäen.

Aber nicht nur ihr Reichtum half ihr dabei, so frei leben zu können, auch ihre lesbische Sexualität spielte dabei eine große Rolle.

Unverheiratet und vor allem ohne Kinder konnte sie ihre eigenen Bedürfnisse freier leben. Und das tat sie sehr ausgiebig!

Anne Lister war nur die erste von vielen Frauen ihrer Art.

In der Podcast-Reihe „Frauen von damals“ erzählt Bianca Walther die Lebensgeschichten „nicht heterosexueller Frauen“ und wie diese alle Konventionen sprengten und sich ihre Freiräume nahmen.

Darunter die ersten Medizinerinnen, Anwältinnen (z. B. Anita Augspurg, die zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann auch vegetarisch lebte), aber auch viele Politikerinnen und Aktivistinnen.

Auch dort vermischten sich meist die zwei positiven Voraussetzungen der finanziellen Unabhängigkeit und das Fehlen von heteronormativen Einschränkungen wie Ehemann und Kinder.

Und so hatten diese Lesben die Möglichkeit, soziales Engagement außerhalb ihres eigenen Umfelds zu leben und einige davon sahen schon vor über 100 Jahren die Überschneidung der Unterdrückungsmechanismen von Menschen und anderen Tieren.

Vegetarismus war für viele schon damals die naheliegende Antwort.

Natürlich waren nicht alle Vegetarierinnen der damaligen Zeit gleichzeitig auch aktive Tierschützerinnen. Gerade im deutschen Kaiserreich und bis zum zweiten Weltkrieg gab es eine starke Lebensreformbewegung. Diese war eine frühe Form der „Vegan for Health“-Bewegung.

Die Jüdin Margarete Herz (* 1872; † 1947) und ihr „lesbian-like“-Freundinnenkreis war eine dieser Vertreterinnen. Die Dentistin setzte neue Akzente in der Frauenstimmrechtsbewegung, baute sich aber mit einer vegetarischen Gaststätte und einem Reformhaus auch eine wirtschaftlich unabhängige Existenz auf.



Biographie über Margarete Herz von Ingeborg Boxhammer


Die Befreiung von Konventionen als Lesbe war auch in der zweiten Frauenbewegung ein wichtiges Thema und verleitete viele heterosexuelle Frauen dazu, ein lesbisches Leben zu wählen. Zumindest zeitweise.

Es galt der Spruch: „Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus die Praxis.“

In der dritten und letzten Phase der zweiten Frauenbewegung entstand von 1983 bis 1993 das Frauenwiderstandscamp in Reckershausen im Hunsrück.

Bis zu 2000 Frauen und Lesben aus ganz Europa zelteten jedes Jahr bis zu zwei Monate dort, um gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen und den stark wachsenden Militarismus zu protestieren. Dieses Camp entstand aufgrund sexistischer Erfahrungen und das Fehlen von feministischen Perspektiven in der männlich dominierten Friedensbewegung.

Die überwiegende Präsenz von Lesben war auch dort sichtbar und verleitete Frauen dazu, dies versteckt abzuwerten, da die Bevölkerung in Reckershausen dieser Lebensweise fremd gegenüberstehen würde.

Allerdings trugen auch einige Lesben zur Differenzierung bei, indem sie Mütter mit ihren Kindern stark diskriminierten. Es gab u. a. eigene Bereiche, zu denen Kinder keinen Zutritt hatten.

Eine vegetarische Ernährung war aber auch dort selbstverständlich, was bei Nicht-Vegetarierinnen zu Currywurstfressanfällen im benachbarten Städtchen sorgte, wie sich eine Teilnehmerin Jahre später erinnerte.



Banner vom Frauenwiderstandscamp


Lesben sind auch heute in der Regel eher dem linken politischen Spektrum zugewandt, sind meist feministisch eingestellt und wissen, wie es ist „anders zu sein“, oder auf ihre Körperteile reduziert zu werden.

Anna Varga stellt die Verbindung zwischen ihrem Leben als Frau und als Vegetarierin her: „Meine feministischen Wurzeln brachten mich schließlich zum Vegetarismus und dann zum Veganismus. Ich begann, die gemeinsame Sprache zu bemerken, die die Behandlung von Frauen und Tieren umgibt. Objekte, die konsumiert werden. Verlust der Identität durch Objektivierung. Leckere Brüste, Beine, Schenkel und Hintern. Reduziert werden auf Körperteile zum Vergnügen der anderen.“


Allerdings gab und gibt es auch immer wieder Gegenmeinungen von Feminist:innen, die auf ihren Fleischkonsum nicht verzichten wollen.

Sie argumentieren, dass Frauen bis zur heutigen Zeit gerade beim Essen immer hinter dem Mann anstehen mussten und es somit ein Zeichen von Gleichberechtigung sei, wenn Frauen endlich den gleichen Anteil des Fleisches bekommen würden.


Lange vor Ruby Rose lebten schon sehr erfolgreiche Pop- und Rockgrößen wie K. D. Lang, Kate Pierson, Joan Jett und Linda Perry fleischlos und lesbisch.

Die kanadische Sängerin K. D. Lang erlebte sogar im Jahr 1992 eine Blockade eines ihrer Konzerte von aufgebrachten Tierausbeutern.

K. D. Lang hatte es gewagt, sich bei einer PETA-Kampagne für eine fleischfreie Ernährung einzusetzen.

Schon damals sagte sie: „Wir alle lieben Tiere, aber warum bezeichnen wir manche von ihnen als Haustiere und manche als Abendessen? Wenn du wüsstest, wie Fleisch hergestellt wird, würdest du wahrscheinlich dein Mittagessen ausspucken. Ich weiß das – ich komme aus einem Land mit Viehzucht – deshalb bin ich Vegetarierin geworden. Fleisch stinkt, und zwar nicht nur für die Tiere, sondern auch für die menschliche Gesundheit und die Umwelt.“



PETA Kampagne mit K.D. Lang aus dem Jahr 1990


Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass ein Leben außerhalb der Hegemonie, also der herrschenden Klasse, es unter bestimmten Voraussetzungen einfacher macht, sich mit anderen Lebewesen zu verbinden, die auch am Rande der dominanten Kultur leben und von dieser ausgegrenzt und ausgebeutet werden.

Da viele Lesben der ersten und zweiten Frauenbewegung frühe Influencerinnen waren, inspirieren diese immer noch die heute nachkommenden Generationen.


Oder um es mit den Worten eines US-amerikanischen Fallenstellers in der Los Angeles Times zu sagen:


„Tierrechtsorganisationen sind terroristische Gruppen, die meist von Lesben angeführt werden, die für ihre Sache Eigentum zerstören und Tierforschungseinrichtungen niederbrennen“, „Und die Progressiven versuchen auf ihrem Weg zum Kommunismus, die Fallenjagd zu verbieten. Sie werden auch die Jagd abschaffen, sobald sie die Regierung der Vereinigten Staaten übernommen haben.“


*Anmerkung zum Begriff „Lesbe“:

Ich verstehe „lesbisch“ nicht nur als sexuelle Orientierung, sondern als eigene sexuelle Identität, welche sich jenseits der binären Konzepte verortet.

Dies bedeutet, non-binär zu leben, ohne sich wiederum in dieser Kategorie einzuordnen.

Monique Wittig (* 1935; † 2003) erklärte dazu, dass Lesben keine Frauen sind, da Frauen lediglich in heterosexuellen Denk- und Ökonomiestrukturen einen Sinn ergeben.

Daher können unter den Begriff „Lesbe“ auch andere sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identitäten fallen.


Quellen:










bottom of page