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Queere Tiere & Queere Befreiung – Eine Einleitung

(This is the German translation of the English post, for the German version please change the language on this site.)

 

Die Welt ist voller queerer Tiere. Mittlerweile haben wohl viele von uns Erzählungen von gleichgeschlechtliche Pinguinpaare gehört, wissen, dass einige Fische ihr biologisches Geschlecht wechseln können, oder haben vielleicht mitbekommen, dass es eine in New Mexiko lebende Spezies ‚lesbischer‘ Eidechsen‘ gibt, die nur aus weiblichen Eidechsen besteht. Und schließlich sind auch Menschen queere Tiere.


Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich Menschen immer mehr für queere nichtmenschliche Tiere interessiert. Dies hat mitunter zu hitzigen politischen Debatten geführt, da tierliche „Queerness“ unweigerlich auch viele (westliche) gesellschaftliche Annahmen über Sexualität, Geschlecht und Reproduktion in Frage stellt.


Studien und Debatten über queere (nichtmenschliche) Tiere reichen von biologischen Beschreibungen, wie z.B. in den Büchern Biological exuberance: Animal homosexuality and natural diversity von Bruce Bagemihl oder Evolution’s Rainbow: Diversity, gender, and sexuality in nature and people von Joan Roughgarden, bis hin zu soziologischen Debatten darüber, wie queer eigentlich Mensch-Tier Beziehungen sind[1]. Es ist wohl naheliegend, dass queere Tiere auch in der LGBTIQ*-Bewegung viel diskutiert werden. Daraus schlagen einige Zoos sogar Profit, indem sie Events wie die „Gay Night at the Zoo“ organisieren oder wie der Londoner Zoo anlässlich des Pride Wochenendes gleichgeschlechtliche Pinguinpaare feiern. Schwule Pinguine sind mittlerweile sogar so beliebt, dass ein in diesem Jahr veröffentlichter Imagefilm der Stadt Köln – auch bekannt als die Deutschlands LGBTIQ+ Hauptstadt – eine kurze Sequenz von zwei Pinguinen mit Fliege vor einer Regenbogenflagge enthält (zu sehen bei Minute 0:57).


Obwohl es unmöglich ist, die Komplexität nichtmenschlicher und menschlicher „Queerness“ in einem einzigen Post abzudecken, versucht dieser Blogpost zumindest einen Überblick über queere Tiere, einige der gängigen Debatten rund um das Thema, und darüber, warum Tierbefreiung auch ein queeres Thema ist, zu geben.


Queere Tiere in Wissenschaft & Forschung


Als Bruce Bagemihl im Jahr 1999 sein Buch Biological Exuberance veröffentlichte, war gleichgeschlechtliches Sexualverhalten bereits bei mehr als 450 Arten von Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Insekten und anderen Tieren wissenschaftlich dokumentiert[2].Als das Naturhistorische Museum von Oslo im Jahr 2006 die Ausstellung „Gegen die Natur? - Eine Ausstellung über Tierhomosexualität “ eröffnete, lag diese Zahl bereits bei über 1000. Die Ausstellung war die erste ihrer Art, die dem gleichgeschlechtlichen Verhalten von nichtmenschlichen Tieren gewidmet war[3]. Gleichgeschlechtliche sexuelle Verhaltensweisen sind also alles andere als „unnatürlich“ und spielen sogar eine wichtige Rolle in Evolutionsprozessen[4]. Sexuelle Interaktionen zwischen verschiedenen (zwei oder mehr) Geschlechtern einer Spezies sind mitunter für die Evolution einer Spezies nicht einmal erforderlich, wie einein New Mexico lebende Eidechsenart zeigt, bei der alle Eidechsen dasselbe Geschlecht haben.


“Homosexualität als “unnatürlich” zu charakterisieren schadet sowohl Tieren als auch schwulen und lesbischen Menschen. Indem geleugnet wird, dass Tiere zum Vergnügen Sex haben oder Paarbindungen eingehen, bei denen es nicht um Fortpflanzung geht, ist es leichter, zu behaupten, dass Tiere gefühlslose Automaten und keine empfindungsfähigen Individuen sind.” – pattrice jones [5]

Queere Diversität beschränkt sich jedoch nicht nur auf sexuelles Verhalten. Ein männlicher Clownfisch kann sein Geschlecht ändern, wenn das Weibchen der Gruppe stirbt, einige Spezies haben nur ein Geschlecht, andere sind Zwitter, und wieder andere haben drei Geschlechter. Die Natur ist also wirklich ziemlich ‘queer’.


Trotz dieser Vielfalt und Diversität sind viele biologische Studien von menschlichen, heteronormativen und geschlechtsbasierten Verzerrungen geprägt[6]. Dies ist vielleicht nicht sonderlich überraschend, wenn bedacht wird, dass die ‚Queerness‘ von Tieren wirklich anzuerkennen, auch weit verbreitete Vorstellungen von Sexualität, Geschlecht, und Reproduktion in Frage stellt[7].

“Versuche, Geschlecht, Sexualität und sexuelle Orientierung durch wissenschaftliche Tierstudien zu definieren, beeinflussen, genauso sehr wie sie Verwirrung darüber widerspiegeln, was queere Sexualität hervorruft.“ – Susan McHughes, übersetzt aus: Queer (And) Animal Theories, S.154

Studien zu gleichgeschlechtlichen sexuellen Verhaltensweisen hatten dabei jedoch nicht nur das Ziel, die Auswirkungen gleichgeschlechtlichen Sexualverhaltens auf die Evolution nichtmenschlicher Tiere zu verstehen. Einige Studien beschäftigten sich explizit damit, Einblicke in menschliches Verhalten zu gewinnen. Dabei ist auffallend, dass sich viele dieser (unter anderem von Jennifer Terry beschriebenen) Studien mit männlicher, weniger jedoch mit weiblicher Homosexualität beschäftigten.[8] Im Jahr 1995 sorge ein in der Times publizierter Artikel für Aufsehen, welcher einer Studie über ‚homosexuelle Gene‘ bei Fruchtfliegen vorstellte. Die Wissenschaftler Oldenwald und Zhang hatten bei den Fliegen genetische Strukturen verändert, die dazu führten, dass die männlichen Fliegen homosexuelles Verhalten zeigten. Obwohl die Wissenschaftler nicht behaupteten, dass ein einzelnes Gen Homosexualität hervorrufen könnte, so wurde jedoch angemerkt, dass Menschen ähnliche Genstrukturen hätten. Somit führte die Studie schnell zu Diskussionen über ‚homosexuelle Gene‘ bei Menschen. Diese Diskussionen führten zu hitzigen Debatten zwischen der LGBTIQ+ Community und homophoben Gruppen, die implizierten, dass Homosexualität ein genetischer Defekt sei, der ‚geheilt‘ werden könnte.[9] (Um dies kurz klar zu stellen: Homosexualität ist kein Defekt und nichts, was geheilt werden könnte oder sollte.)


Jedoch dienen nicht alle wissenschaftlichen Untersuchungen homosexuellen Verhaltens nichtmenschlicher Tiere dazu, menschliche Homosexualität besser zu verstehen. Einige widmen sich aus reinem Interesse dem Verhalten nichtmenschlicher Tiere und wieder andere, aus einem bestimmten (wirtschaftlichen) Zweck. In den 90er Jahren untersuchten die beiden Forscher Perkins und Fitzgerald Schafe, die sie als "männlich-orientierte Widder" bezeichneten. Ziel ihrer Untersuchung war es, diese ‚schwulen‘ Widder zu identifizieren, da diese für die Zucht weniger effektiv seien und somit zu wirtschaftlichen Verlusten führen würden.[10] Obwohl diese Studien in den 90er Jahren durchgeführt wurden, sind sie noch immer sinnbildlich dafür, wie nichtmenschliche Tiere in der Tierindustrie als reine Objekte zur Gewinnerzielung angesehen werden. Das homosexuelle Verhalten der Widder war aus ökonomischer Sicht unerwünscht, da dieses angeblich eine maximal effiziente Fortpflanzung verhinderte. (Anmerkung: ähnliche – wenn auch unterschiedlich motivierte – Argumente wurden und werden übrigens auch bei der Verfolgung von Homosexuellen angebracht. So galt Homosexualität beispielsweise unter dem deutschen NS-Regime als Bedrohung für die „nationalen Fortpflanzungsfähigkeit“, die es zu beseitigen galt.[11])

Zusammenfassend scheint es viele verschiedene Gründe zu geben, warum Menschen das Bedürfnis haben, andere queere Tiere wissenschaftlich zu untersuchen. Keiner dieser Gründe rechtfertigt es jedoch, nichtmenschliche Tiere in Käfigen einzusperren, zu untersuchen, genetisch zu verändern, zu töten und zu sezieren. Es gibt keinen Grund, dafür, nichtmenschliche Tiere für besseren Verständnis queerer Menschen heran zu ziehen und noch weniger, aus reinem Interesse Experimente an ihnen durchzuführen.


Geschichten von ‘schwulen’ Pinguinen


Das menschliche Interesse an anderen (queeren) Tieren beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Wissenschaft. Wie viele Kinder habe ich Naturdokus geliebt und bin, wie viele andere Kinder auch, stets mit großer Begeisterung in den Zoo gegangen. Als Kind, habe ich weder die mit präsentierten Informationen in Frage gestellt, noch die Art und Weise, in der sie präsentiert wurden. Jedoch sind diese Darstellungen niemals „neutral“. Darstellungen erzählen immer eine bestimmte Geschichte, und dienen damit sozialen, kulturellen, oder politischen Zwecken; ob bewusst oder unbewusst.[12] Geschichten über unsere Beziehung zu nichtmenschlichen Tieren sind meistens von Speziesismus geprägt, sprich von Vorurteilen und der Diskriminierung von Individuen aufgrund ihrer Artenzugehörigkeit.[13]


Indem wir nichtmenschliche Tiere in Zoos in Käfige setzen, die ihren „natürlichen Lebensraum“ repräsentieren sollen, erzählen wir eine bestimmte Geschichte über sie. Und manchmal verwenden wir sie, um Geschichten über uns selbst zu erzählen

„Ohne es zu wissen, helfen uns Tiere dabei, Geschichten über uns selbst zu erzählen, insbesondere, wenn es um Sexualität geht.“ - Jennifer Terry, “Unnatural Acts” in Nature, S.151

Insbesondere schwule Pinguine werden in den gängigen Medien oft dafür genutzt, Geschichten über Regenbogenfamilien zu erzählen.[14] (Die Begriffe ‚schwul‘ oder ‚lesbisch‘ werden hier genutzt um Pinguinbeziehungen zwischen zwei männlichen und zwei weiblichen Pinguinen zu beschreiben. Da diese Begriffe jedoch menschliche Identitäten abbilden, sollten sie nicht einfach so auf andere Tiere übertragen werden). Die Geschichte der beiden Pinguine Roy and Silo, zwei männlichen Zügelpinguinen im New Yorker Central Park Zoo, wurde dabei sogar so populär, dass zwei Kinderbücher über sie geschrieben wurden. Die Bücher erzählen die Geschichte von Roy and Silo, die ein Ei ausbrüten, als die Geschichte einer glücklichen Regenbogenfamilie. (Mittlerweile gibt es sogar ein weiteres Buch über ein männliches Pinguinpaar, die sich ein Kind wünschen, diesmal zum Glück außerhalb des Zoos).

Während die Geschichte von Roy und Silo, die ein Ei ausbrüten und das Küken Tango als Kind erziehen, eine schöne Geschichte für Regenbogenfamilien ist, ist es problematisch, sie zu der einzigen Geschichte zu machen, die wir über sie erzählen. Es ist problematisch, weil es normalisiert, dass Pinguine in Zoos gefangen gehalten werden, und weil dies impliziert, dass diese schwulen Pinguine „gute Schwule“ sind, weil sie als monogames Paar leben, die Kinder großziehen.[15] An dieser Lebensweise ist zwar nichts auszusetzen, jedoch ist es nicht die einzige Möglichkeit, in ‚guten‘ gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu leben, weder für Pinguine noch für Menschen.

Im Bestreben Geschichten über schwule Pinguine die (in Gefangenschaft) ihre große Liebe finden und bis ans Lebensende glücklich mit ihrem Partner leben, wurden sogar bereits Pinguinhochzeiten abgehalten. Im Jahr 2019 wurden die beiden Pinguine Ferrari und Pringle bei einer von Menschen organisierten Hochzeitszeremonie ‚verheiratet‘ – es gibt sogar ein Hochzeitsvideo.[16] Dies war nicht die erste ‚Pinguinhochzeit‘ und es wird vermutlich leider auch nicht die letzte Veranstaltung ihrer Art sein, bei der menschliche Bräuche und Rituale auf andere Tiere projiziert werden. Warum würden Pinguine je nach menschlicher Konvention heiraten wollen?

Wir werden nie wissen, was diese Pinguine wirklich denken oder fühlen, mit welcher sexuellen und geschlechtlichen Identität sie sich identifizieren, oder wie sie ihre Beziehungen gerne führen würden. In dem wir sie verheiraten implizieren wir, dass sie ‚genau wie wir‘ sind, und benutzen sie gleichzeitig zur menschlichen Belustigung. Wessen Geschichte erzählen wir also wirklich, wenn wir diese ‘verliebten Vögel‘ verheiraten?

Was jedoch stets auffällt ist, dass die Lebensumstände der einzelnen Pinguine in diesen Geschichten nicht weiter thematisiert werden. Pinguine in Käfigen sind niemals frei, aber dennoch nutzen sie als Statisten in der Erzählung Geschichten sexueller Freiheit.Wie können wir jedoch sexuelle Vielfalt und Freiheit feiern, wenn wir nicht in Frage stellen, dass diejenigen, die den Kern dieser Geschichte bilden, in Käfigen leben?


Warum Tierbefreiung ein queeres Thema ist


Die Beziehung zwischen queeren Menschen und nichtmenschlichen Tieren hat jedoch auch eine ganz andere Seite. Schon lange setzen sich queere Menschen für die Rechte anderer Tiere ein. Eine erste Einleitung zu den Themen ‚queere Tierbefreiung‘ oder ‚warum Tierrechte auch ein queeres Thema sind‘ waren für mich Vorträge wie Queering Animal Liberation von pattrice jones and Queering Animal Liberation: Why Animal Rights is a Queer Issue von Christopher-Sebastian McJetters sowie dieses Interview über Human-Animals Studies und Queeraktivismus mit Swetlana Hildebrandt. Die Verbindungen zwischen diesen Themen sind jedoch keine neue Entwicklung und reichen schon lange zurück.

Insbesondere Lesben wurden und werden nach wie vor eng mit Vegetarismus in Verbindung gebracht. Für einige geht diese Verbindung sogar soweit, dass sie annehmen, dass lesbisch sein eben auch bedeutet, vegetarisch zu leben. Letzteres wurde bereits in mehreren Filmen aufgegriffen, wie zum Beispiel dem Klassiker Weil ich ein Mädchen bin (Original: But I’m a Cheerleader), oder dem Film Pride aus dem Jahr 2014. In Weil ich ein Mädchen bin wird die Geschichte von Megan erzählt, deren Eltern sie aufgrund des Verdachts ihrer Homosexualität in ein Konversationstherapie-Lager schicken. Obwohl Megan selbst zu diesem Zeitpunkt noch denkt, dass sie Hetera sei, sind ihre Eltern und Freund:innen der festen Überzeugung, dass sie ‚homosexuelle Tendenzen‘ hat; unter anderem weil sie sich für Vegetarismus interessiert. Dass sie ihrer Familie Tofu vorsetzt wird somit genutzt, um sie als Lesbe zu ‚überführen‘.

Vegetarismus wird im Film Pride in einem kurzen Gespräch zwischen einer der Frauen aus dem Dorf der streikenden Bergarbeiter und dem lesbischen Paar von Lesbians and Gay Men Support the Miners (deutsch: Lesben und Schwule unterstützen die Bergarbeiter; später sind sie Teil von Lesbians Against Pit Closures) thematisiert. Die beiden werden gefragt, ob es stimme, dass alle Lesben Vegetarierinnen seien, worauf sie mit „Wir sind Veganerinnen“ antworten.


Die Vegan Society hat Veganismus als „eine Philosophie und Lebensart, die – so weit wie möglich und praktisch durchführbar – alle Formen der Ausbeutung und Grausamkeiten an Tieren für Essen, Kleidung oder andere Zwecke zu vermeiden sucht und darüber hinaus die Entwicklung tierfreier Alternativen zum Vorteil von Tieren, Menschen und Umwelt fördert. In der Ernährung bedeutet dies den Verzicht auf alle ganz oder zu Teilen vom Tier gewonnenen Produkte.“


Im Gegensatz zu sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität, ist vegan zu leben für die meisten von uns eine freie Entscheidung (und eine, die nicht zu systematischer Unterdrückung führt), aber dennoch gibt es hier viele Verbindungen; sowohl im Hinblick auf die Infragestellung gesellschaftlicher Normen als auch in Bezug auf den Kampf für soziale Gerechtigkeit.

“Veganismus stell vorgefasste Meinungen davon, was eine „richtige“ Ernährung ist, und wie das Leben in heutigen westlichen liberalen Gesellschaften richtig gelebt wird in Frage.“ - Rasmus Simonsen, übersetzt aus: A Queer Vegan Manifesto[17], S.52.

Viele queere Veganer:innen haben angemerkt, dass sowohl queer zu sein, als auch vegan zu leben oft einen Coming-Out Prozess beinhaltet. Manche entscheiden sich sogar dafür, beides für sich zu behalten da sie nicht stigmatisiert oder angefeindet werden wollen.[18] (hier hat Leah Kirts einige Anekdoten und Erzählungen von queeren Veganer:innen zusammengetragen (in englischer Sprache) und hier berichtet Lovis Cassaris über Veganismus als zweites Coming-Out). In der heutigen westlichen Gesellschaft wird gehört queer zu sein oder vegan zu leben nicht zur ‚Norm‘. Dabei stellt Veganismus nicht nur „richtige“ Ernährungsweisen in Frage, sondern lehnt auch die weitverbreitete Annahme ab, dass Fleisch essen männlich sei. Wie Carol J. Adams in The Sexual Politics of Meat[19] beschreibt, beinhaltet die Ablehnung von Fleisch auch, eine klare Stellung gegen die patriarchalische Kultur einzunehmen; eine Kultur, die sowohl queere als auch nichtmenschliche Tiere unterdrückt (sowie viele weitere Gruppen und die Natur[20]).


Das Patriarchat schafft Hierarchien der Unterdrückung, die weiße, heterosexuelle cis-Männer an die Spitze der Pyramide stellen und damit notwendigerweise jeden anderen als „anders“ und „minderwertig“ definieren.Dabei werden nicht nur viele Gruppen von Menschen, sondern auch nichtmenschliche Tiere unter dem imperialistischen, vom weißen Überlegenheitsdenken geprägten kapitalistischen Patriarchat unterdrückt (wie es bell hooks beschreiben würde). Wie wir, sollten auch nichtmenschliche Tiere selbst über ihren eigenen Körper, ihr Leben, und ihre Sexualpartner:innen bestimmen dürfen. All dies sind Grundrechte, für die auch wir kämpfen.


Tierbefreiung ist ähnlich wie LBGTIQ+ Befreiung auch ein Kampf für soziale Gerechtigkeit. Ethischer Veganismus ist dabei ein Ausdruck dieses Kampfes und ein Akt der Solidarität mit anderen unterdrückten Tieren. Ethischer Veganismus bedeutet dabei nicht nur, keine Produkte zu konsumieren, die aus der Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere stammen, sondern beinhaltet auch, sich in anderen Bereichen für (Nahrungsmittel-)Gerechtigkeit einzusetzen. Dies bedeutet unter anderem den Boykott oder die faire Produktion von Produkten, von denen wir wissen, dass sie anderen Menschen großen Schaden zufügen (Projekte wie das Food Empowerment Project, A Well-Fed World, Chilis on Wheels, or Food Not Bombs zeigen zum Beispiel, wie wir Nahrungsmittelgerechtigkeit erreichen können).


Als Community müssen wir erkennen, dass Unterdrückungsmechanismen wie Homophobie, Transphobie, Sexismus, Rassismus, Ableism, Ageismus, Klassismus und Speziesismus auf ähnliche Weise funktionieren, miteinander verbunden sind und daher gemeinsam bekämpft werden müssen. Viele queere Veganer:innen setzen sich bereits dafür ein, die Befreiung nichtmenschlicher Tiere auch in unseren eigenen Kampf für LGBTIQ+ Rechte einzubeziehen. Dies zeigen auch Bücher wie das Anfang des Jahres erschienene Queer and Trans Voices: Achieving Liberation Through Consistent Anti-Oppression von Julia Feliz Brueck und Zoie Zane McNeill.[21] (Mehr Informationen über Consistent Anti-Oppression gibt es hier, oder in unserem Interview mit Julia Feliz.) Hoffnung auf eine Welt, in der alle Lebewesen frei von Diskriminierung leben dürfen, verbreiten auch viele von queeren Menschen geleitete Lebenshöfe (hier haben wir eine Liste zusammengetragen).



Abschließende Worte


Ziel dieses Textes war es, einen kleinen Einblick in das Leben queerer Tiere sowie einen Überblick einiger Debatten, die wir Menschen über sie führen, zu geben. Es gibt nach wie vor noch viel zu sagen, insbesondere in Bezug auf die Verbindungen zu anderen Formen der Unterdrückung wie Rassismus, Sexismus oder Ableismus, die zu Vorurteilen gegenüber anderen Tieren und Menschen führen. Dies schließt auch die Heteronormativität ein, mit der mitunter auch queere Veganer:innen andere Tiere betrachten.

Dies wird unter anderem im Vortrag Queering Animal Liberation von pattrice jones deutlich, im Laufe dessen sie eine Anekdote über zwei der Enten, um die sich im VINE Sanctuary kümmerte, erzählt. pattrice erzählt von zwei Erpeln (männlichen Enten), die sie im Glauben, dass die zwei miteinander kämpften, immer wieder trennte. Die zwei schafften es jedoch immer wieder verschiedenste Zäune zu umgehen, um zueinander zu finden, und irgendwann erkannte pattrice, dass es sich bei den beiden nicht etwa Rivalen sondern um Sexualpartner handelte.

Diese Geschichte zeigt deutlich, wie stark so viele von uns Heteronormativität internalisiert haben und wie sehr wir anderen schaden können, indem wir diese auf sie projizieren. Diese Geschichte kann aber auch eine Erinnerung dafür sein, über das, was wir für offensichtlich halten, hinaus zu schauen, und wieder mehr zu beobachten, denn: wenn wir Geschichten über andere erzählen müssen wir nicht nur bereit dazu sein, zu reden, sondern auch zuzuhören. Dabei sollten wir insbesondere anderen Tieren zuhören, obwohl – oder genau aus dem Grund, dass – wir eine andere Sprache sprechen. Dies sollte uns jedoch nicht davon abhalten ihre Geschichten zu teilen. Über queere nichtmenschliche Tiere oder ihre Verhaltensweisen zu sprechen ist nicht nur ein Weg, über Diversität zu sprechen, sondern gibt auch Einblicke in das Leben derer, die wir so oft als ‚anders‘ wahrnehmen.


Dabei sollten wir uns jedoch auch darüber bewusst sein, dass Erzählungen (auch dieser Post) niemals neutral sein können, und kritisch über unsere vorgefassten Annahmen reflektieren. Die Überwindung dieser Vorurteile kann uns jedoch dabei helfen, andere besser zu verstehen und Vielfalt mit Empathie anzunehmen.Und dies wäre einewertvolle Lektion für alle Lebewesen. Um mit den Worten von Audre Lorde, ihrer Selbstbeschreibung nach "Schwarz, Lesbe, Mutter, Dichterin, Kriegerin", zu schließen: "Es sind nicht unsere Unterschiede, die uns trennen. Es ist unsere Unfähigkeit, diese Unterschiede zu erkennen, zu akzeptieren und zu feiern."


 

Notiz: Weitere Texte, Vorträge, Interviews und andere Informationen über queere nichtmenschliche Tiere, queere Veganer:innen, und queere Tierbefreiung findet ihr auch in unserer Ressourcenübersicht.

Im Anschluss an diesen Artikel werden wir einige nichtmenschliche queere Tiere auf unseren Social Media Plattformen vorstellen.


Danke an: alle, auf deren Arbeit und Ideen dieser Text aufbauen konnte, und von denen ich bisher viel lernen konnte. Ohne sie gäbe es diesen Text nicht. Danke auch an Daniela Zysk; für dieses Projekt, für die Idee zu diesem Post, und all die Diskussionen.


Titelbild von deeliah.

 

Fußnoten:


[1] McHugh, S., 2009, Queer (and) Animal Theories, GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies, 15(1), pp. 153-169. (Review) [2] Bagemihl, B., 1999, Biological exuberance: Animal homosexuality and natural diversity, Macmillan. [3] UiO : Natural History Museum, AGAINST NATURE? - An exhibition on animal homosexuality, 25.02.2009, Available at: https://www.nhm.uio.no/besok-oss/utstillinger/skiftende/tidligere/againstnature/index-eng.html [4] Bailey, N. W., & Zuk, M., 2009, Same-sex sexual behavior and evolution, Trends in Ecology & Evolution, 24(8), 439-446. [5] jones, pattrice, 2005, Of Brides and Bridges: Linking Feminist, Queer, and Animal Liberation Movements, Satya, June/July 2005, Available at: http://www.satyamag.com/jun05/jones_bridges.html [6] Roughgarden, J., 2013, Evolution's rainbow: Diversity, gender, and sexuality in nature and people, Univ of California Press. [7] Bagemihl 1999. Bailey & Zuk 2009. [8] Terry, J., 2000, " Unnatural acts" in nature: The scientific fascination with queer animals. GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies, 6(2), 151-193. (p.158) [9] Terry 2000. [10] Terry 2000. [11] Weindling, P., 2015, Victims and Survivors of Nazi Human Experiments: Science and Suffering in the Holocaust. London: Bloomsbury Publishing. (p.183) [12] Talburt, S., & Matus, C., 2012, Orienting ourselves to the gay penguin. Emotion, Space and Society, 5(1), 36-44. [13] Ryder, R. D., 1970, Speciesism. Leaflet. [14] Ebeling, K. S., & Spanier, B. B. (2011). What Made Those Penguins Gay?. Gender and Sexuality Politics at the Zoo. In: Gender and the Science of Difference: Cultural Politics of Contemporary Science and Medicine. Ed. Jill A. Fisher. New Brunswick, NJ: Rutgers UP, 126-144. (p.135) [15] Talburt & Matus 2012. [16] Duffy, N., 2019, This gay penguin wedding is everything we need on Valentine’s Day, Pink News, 14.02.2019, Available at: https://www.pinknews.co.uk/2019/02/14/gay-penguin-wedding-video-valentines-day/ [17] Simonsen, R. R., 2012, A queer vegan manifesto, Journal for Critical Animal Studies, 10(3), 51-81. [18] Kirts, L., 2019, Coming Out as Vegan, Jarry Mag, 26.04.2019, Available at: http://www.jarrymag.com/jarrybriefs/comingoutasvegan [19] Adams, C. J., 1990, The sexual politics of meat: A feminist-vegetarian critical theory. Bloomsbury Publishing USA. [20] Gaard, G., 1997, Toward a queer ecofeminism, Hypatia, 12(1), 114-137. [21] Feliz Brueck, J. & McNeill, Zoie Zane (eds.), 2020, Queer and Trans Voices: Achieving Liberation Through Consistent Anti-Oppression, Sanctuary Publishers.



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